Boogie-Woogie gehört zur Familie der Swing-Tänze. Er entstand in den 1920er Jahren in den USA aus dem East Coast Swing, einem vereinfachten tänzerischen Derivat des Ende der 1920er Jahre aus schwarzen Wurzeln entstandenen Lindy Hop der 1930er Jahre. Die Verwendung der Bezeichnung „Boogie-Woogie“ für den Tanz bleibt auf Europa beschränkt.

 

East Coast Swing und Lindy Hop verbanden ein Grundgerüst an Tanzschritten, die zu immer wieder neu erfundenen und abgewandelten Tanzfiguren zusammengesetzt wurden, mit akrobatischen Elementen. Die Quellenlage ist dürftig. Sie stützt sich im Wesentlichen auf Lebenserinnerungen und einige wenige filmische Dokumente. Man geht, sich darauf stützend, heute davon aus, dass stundenlange Tanzvergnügen und auf Ausdauer angelegte Tanzwettbewerbe in den 1930er und 1940er Jahren dazu beitrugen, dass die Tänzer neue Figuren erfanden. Amerikanische Soldaten brachten diesen Tanz nach dem Zweiten Weltkrieg nach Europa, wo ihn die Jugend für sich entdeckte. Aufgrund der dem damaligen Zeitgeist entsprechend empfundenen Unmoral und größtenteils wegen seiner schwarzen Wurzeln erfahrenen gesellschaftlichen Ächtung lehnten es Tanzlehrer nach dem Krieg zunächst weitgehend ab, diesen Tanz in ihren Schulen zu unterrichten. So wurde er in die Hinterzimmer der Tanzschulen sowie in die über eine Musikbox verfügenden Milchbars und Tanzbierbars verbannt und verbreitete sich durch Abgucken und Experimentieren. Die weitgehende Verdrängung des Tanzes der Jugend aus der Öffentlichkeit fand erst ein Ende, als der Film „Außer Rand und Band“ 1956 in die deutschen Kinos kam und gleichsam "Ventile" öffnete.

 

Da man sich dem Interesse der Jugend an diesem Tanz nicht dauerhaft zu entziehen vermochte, wurde der afroamerikanisch geprägte Swing-Tanz durch europäische Tanzlehrer an den europäischen „Geschmack“ angepasst. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Tänzen wird der Boogie-Woogie in Tanzschulen und Vereinen daher aufrechter, kompakter und oft in klar definierten Linien vermittelt und getanzt. Elemente, die als anstößig angesehen wurden, wurden nicht vermittelt. Die „Europäisierung“ des Swing-Tanzes setzte sich unter dem Einfluss der Tanzschulen mit dem Jive und Rock´n´Roll weiter fort. Eine Hochburg für den Boogie-Woogie in den 1950er Jahren war Berlin.

  

Boogie-Woogie wird nicht, wie man erwarten würde, ausschließlich auf Boogie-Woogie-Musik getanzt, sondern aufgrund der verwandten musikalischen Elemente, vorwiegend auf Rock´n´Roll, Rockabilly, Rock, Jump Blues und Swing. Der Tanz ist untrennbar mit der ihm zugrundeliegenden Swing-Musik, ihrem Wandel und mit den auf sie wirkenden Einflüssen verbunden. Starke Einflüsse kamen aus dem auf schwarzen Wurzeln fußenden Rhythm & Blues der 1940er und 1950er Jahre. Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg des Tanzes und für seine Weiterentwicklung war die stimulierende Wirkung, die von der Musik ausging. Swing war die „Pop-Musik“ der damaligen Zeit, sie war populär bei Jung und Alt seit den späten 1920er Jahren, in den 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenn sie von der älteren Generation als zu „wild“ empfunden wurde, behalf man sich damit, von "Jazz-Musik" zu sprechen. Diese hatte eher eine gesellschaftliche Akzeptanz als die zu laute und vermeintlich die gute Ordnung und die Sitten gefährdende "Hottentotten- oder Neger Musik".

 

Der Name des Tanzes im Nachkriegseuropa wandelte sich: Während bis Mitte der 1950er Jahre neben der Bezeichnung „Jitterbug“ auch „Boogie-Woogie“ üblich war, kam mit dem Ende der 1950er Jahre die Bezeichnung "Rock ’n’ Roll" auf, ein Name, den die damaligen Medien und die Jugendlichen mitprägten: Kinofilme, Zeitungsartikel und Soldatensender brachten diesen Begriff ab 1956 immer mehr in Umlauf. Er war verbunden mit der neuerlich aus USA aufkommenden Musik eines Bill Haley und Elvis Presley, die mit dazu beitrugen, die ursprünglich auf afroamerikanischen Wurzeln basierende Musik salonfähig zu machen. Der Erfolg ist z. T. auch dadurch zu erklären, dass Musik und Tanz ein Ausdruck des jugendlichen Protestes gegen die Generation ihrer Eltern waren. Nach dem Abebben dieser Bewegung im Twist und dem aufkommenden Beat der 1960er Jahre erlebte der „Rock ’n’ Roll“ eine Wiedergeburt in den 1970er Jahren: Mit der Musik wurde auch der Tanz wiederentdeckt und seither durch Tanzschulen und Sportvereine verbreitet. Im sich entwickelnden Turniertanzgeschehen unterschied man schnell zwischen „Rock ’n’ Roll“ und „Boogie-Woogie“, um Verwechslungen zwischen dem akrobatischen Sport-Rock-’n’-Roll und dem zunächst ohne Akrobatik unterrichteten „Boogie-Woogie“ zu vermeiden. Das für Wertungsgerichte wichtige Reglement für nationale und internationale Wettbewerbe, das regelmäßig angepasst wurde, hat aber nicht verhindert, dass auch die ursprünglichen Formen des Tanzes und Tänzer von damals wiederentdeckt wurden, was zu seiner heutigen Ausprägung beigetragen hat. So steht neben dem verschulten und bewerteten Tanzen immer noch eine volkstümliche Ausprägung des Boogie-Woogie mit zahlreichen weltweit unterschiedlichen Variationen, die ihm immer anhaftete. Durch den veränderten Zeitgeist unterliegen Musik und Tanz nicht mehr der ursprünglichen gesellschaftlichen Ächtung, die sie als Ausdruck einer jugendlichen Sub-Kultur während der Nazidiktatur und in den 1950er Jahren erfuhren.